Franziska Rutishauser

Venus Stardust Lump, 2024
Fine Art Print, Hahnemühle auf Photorag, 130 x 60 cm

Die Künstlerin zu ihrem Werk:

Das Weibliche, die attraktive Schönheit, die Libido, die Sexualität, die Paarung, die Schwangere, die Gebärende, die Stillende, sind derart elementare Bestandteile menschlicher Existenz, dass zu allen Zeiten religiöse Symbole und kultische Rituale dafür tradiert wurden. Morgen- und Abendstern, beide ein und derselbe Planet, wurde von den Römern nach der Göttin Venus benannt. So heisst der wegen seiner nebligen Atmosphäre weiss schimmernde Planet seitdem.

Ita von Lothringen (995-1035), die Stammmutter der Habsburger-Dynastie lebte in einer Zeit, als Venus als Göttin verdrängt worden und an ihre Stelle Maria, die jungfräuliche Mutter von Jesus, getreten war. Jesus` Erscheinen selbst wurde gar im Morgenstern gesehen. Die Verehrung einer Göttin der Schönheit, gekoppelt mit körperlicher Liebe, war im Christentum mit Verfolgung und Ausgrenzung belegt worden. Die Verlagerung der Verehrung körperlicher Liebe hin zu deren Sublimierung führte zu drastischen Veränderungen mit problematischen Auswirkungen. Die religiöse Ita liess 1027, zusammen mit ihrem Mann, Radbot Graf von Klettgau (985-1045), das Kloster Muri als Eigenkloster für Benediktinermönche des Klosters Einsiedeln errichten. In der Kirche des Klosters befinden sich vor dem Chor mehrere Gräber, worunter auch diejenigen der Stifter vermutet werden. Der Bezug des Stammpaares der Habsburger zu Muri wird seit der ersten Ausgrabung im 18. Jh. immer wieder durch Grablegungen als Memorialort bestärkt und ergänzt. Heute liegen im Kloster Muri auch die Herzen von Zita (1892-1989) und Karl (1887- 1922), dem letzten (1916-18) Österreich-Ungarischen Kaiserpaar der Dynastie. Nach 60-jähriger Odyssee, aufgrund der Entmachtung mit Landesverweis, starb Zita 1989 in der Schweiz. Ihr Körper liegt in der Kaisergruft Wiens und ihr Herz in silbernem Becher in der Loretokapelle des Klosters Muri unter dem Silberbecher mit dem Herzen Karls, dessen Körper auf Madeira bestattet worden war. Zita gebar 8 Kinder und wurde 97 Jahre alt. Ita und Zita, zwei Frauen in zwei völlig unterschiedlichen Abschnitten der Zeitgeschichte, verbunden durch Nachkommenschaft.

Die Wahrnehmung der Umwelt ist gleichzeitig Beobachtung und Projektion. Das Weltbild der Menschen ist somit Interpretation. Dies wandelte sich im Lauf der Geschichte. Im Mittelalter lebte man auf einer Scheibe, heute auf einer Kugel und morgen…. Zu den menschlichen Projektionen gehört der Anthropomorphismus. Das menschliche Gehirn neigt dazu, in der Umgebung menschenähnliche oder vertraute Formen zu sehen. Sei dies in Wolkengebilden, in Rinde von Bäumen, in Felsformen, Pflanzen oder Tieren: Gestalten wurden darin entdeckt und wurden menschlichen Kulten hinzugefügt. In der Antike wurden sämtliche Götter anthropomorph verbildlicht. Die Göttin Venus war Massstab weiblicher Schönheit und Sinnlichkeit. Rituelle Attribute waren unter anderem der Spiegel (Metall), die Muschel und der Delphin.

Mein Beitrag zur Venus von Muri greift vor dem Hintergrund der Wandlung von Idealvorstellungen das archaische antropomorphe Bild des Weiblichen auf. Ich möchte den Blick auf die oben erwähnte Verbundenheit durch Nachkommenschaft erweitern, indem ich auf die materielle Verbundenheit von Mensch und Natur hinweise. Der Blick in die Gräber des elften Jahrhunderts rückt den Gedanken an den Zerfall der Körper zu Staub heran, welcher als eine materielle Zwischenstufe in einem grösseren Zeitraum verstanden werden kann. Die fotografierte Felsstruktur ist ein freigestelltes Teilstück, das an eine Figur erinnert und an das Zyklische menschlicher Existenz in der Natur.


Franziska Rutishauser, geb. 1962, lebt in Rothrist.

Weitere Informationen auf www.franziska-r.ch/de/